Was ist ein Naturgarten?

Vorwort

Im konventionellen Gartenbaubereich versucht eine zahlungskräftige Agrar- und Chemieindustrie mit aufwändiger Lobbyarbeit, umfangreichem Medieneinsatz, gezüchteten (z.T. gentechnisch veränderten) Pflanzen und zahllosen Produkten den Konsum anzukurbeln, Gartentrends festzulegen und sich hohe (Welt)Marktanteile zu sichern. Angeregt durch bundesweite Aktionen zum Schutz der Artenvielfalt suchen inzwischen viele Menschen nach alternativen Gartenformen. Sie möchten sich ökologisches Wissen aneignen, untereinander vernetzen und Bienen, Hummeln und Schmetterlingen wieder einen Lebensraum anbieten..

 

Die Merkmale eines Bio-Gartens werden in zahlreichen Büchern beschrieben und sind vielen Gartenliebhabern vertraut. Eine weitere Form nachhaltiger Gartenkultur sind biologisch bewirtschaftete Naturgärten. Naturnahe Gärten sind keine schnelllebige Modeerscheinung oder ungepflegten Wildnisgärten, sondern gestaltete Gärten mit artenreichen Pflanzengesellschaften und umweltfreundlichen Baumaterialien.

 

Leider ist der Begriff "Naturgarten" nicht geschützt und so wird er fantasievoll in vielen Firmennamen, Büchern und auf Webseiten verwendet, um konventionelle Gärten unter einem ökologischen Deckmantel zu vermarkten. 

 

Die wichtigsten Merkmale naturnaher Gärten finden Sie hier.

Das Herz naturnaher Gärten: Indigene und archäophytische Pflanzen

 

Die wichtigsten Merkmale naturnaher Gärten, Spielräume und öffentlicher Flächen sind:

  • ökologische (Bau)Materialien
  • Arten- und Strukturreichtum
  • schonender Ressourceneinsatz
  • Dynamik
  • die züchterisch nicht veränderten, bei uns heimischen Wildpflanzen - insbesondere indigene, archäophytische und gebietseigene (zertifizierte) Arten.
  • Mindestens 50% der Gartenfläche (auch Wege, Fugen, Dächer, Kiesstreifen am Haus, Zäune, Trockenmauern u.a.) wir begrünt 
  • Naturgärtner*innen achten neben der Pflanzenherkunft auf jahreszeitlich versetzte Blüh- und Fruchtfolgen
  • Arten mit einem besonders hohen ökologischen Wert für die heimische Tierwelt werden bevorzugt
  • Wie in jedem Garten spielt auch die Ästhetik eine große Rolle, wobei heimische Pflanzengesellschaften -egal in welcher Kombination- von fast allen Menschen als schön empfunden werden.
  • Wem ein buntes Durcheinander nicht gefällt, kann seine Beete thematisch, modern oder nach gestalterischen Gesichtspunkten mit Leitpflanzen, Gruppenstauden und Füllstauden gestalten.
  • Nicht Wechselflorbepflanzungen sind das Ziel, sondern langjährige Wildblumenbeete, die einer natürlichen Dynamik unterliegen und sich im Laufe der Zeit verändern dürfen
  • Wildpflanzen wachsen, blühen, reifen und überwintern in einem genetisch festgelegten Zeitfenster, von Frühling bis Winter zeigen sie uns ständig wechselnde (Farb)Aspekte.
  • Wildpflanzen haben jeweils nur sehr kurze Blühphasen
  • Auch die mit den Wildpflanzen vergesellschafteten Tierarten leben mit den Jahres- und Tageszeiten.
  • Zierpflanzen kommen nur in Ausnahmefällen oder in geringen Zahlen im Naturgarten vor, z.B. sehr alte Gehölze oder wenn besondere Erinnerungen mit ihnen verbunden sind.
  • Kulturpflanzen / Bio-Gemüse bereichern einen Naturgarten
  • Es gibt keine Mindestgröße oder Standardvorlagen für naturnahe Gärten

Ob man langlebige Wiesen oder Hecken, Hochbeete oder Totholz-Käferbeete, lückenhafte oder dicht bepflanzte Wildpflanzenbeete, Obst, Gemüse und Kräuter, Einjährige oder Zweijährige, Stauden oder Gehölze, einen Naturteich oder Spielbereich, Trockenmauern, Sitzplätze, Terrakotta-Wildpflanzentöpfe oder andere Gartenbereiche anleget, hängt von den eigenen Vorlieben und persönlichen Bedürfnissen, den Gegebenheiten, Finanzen und der zur Verfügung stehenden Zeit ab.

Naturgarten als Bio-Garten

Um das sensible Beziehungsgeflecht im Lebensraum Garten möglichst wenig zu stören, sollte ein Naturgarten immer biologisch bewirtschaftet werden.

 

Folgendes gehört nicht in einen Naturgarten:

  • Torf
  • invasive Neophyten
  • gentechnisch veränderte Organismen
  • Agro-Chemikalien
  • Kunststoffe (v.a. PVC)
  • lärmende Laubsauger oder -bläser
  • synthetisch-mineralische Kunstdünger
  • problematische Bodenhilfsstoffe
  • kesseldruckimprägnierte oder lackierte/lasierte Hölzer
  • versiegelte Flächen
  • unnötiger Maschineneinsatz
  • elektrische Beleuchtungen (Lichtverschmutzung)

Stattdessen finden wir in einem Naturgarten:

  • regionale, schadstofffreie Recycling- und Baumaterialien (beispielsweise Natursteine und unbehandelte (Tot)Hölzer wie Eiche, Edelkastanie, Lärche, Robinie, Obstbäume u.a.)
  • nachhaltige Ressourcennutzung (Regenwasser, Solarenergie u.a.)
  • gütegesicherte Grünkomposte oder organische Dünger, ggf. Mulchmaterialien
  • boden-, pflanzen- und tierschonende Gartenarbeiten
  • gesundes Bodenleben
  • Optimales Pflanzenwachstum wird durch standortgerechte Pflanzungen und Saaten indigener, archäophytischer und gebietseigener Arten erreicht (Literatur und Gärtnereien helfen bei der Pflanzenwahl)
  • Wildpflanzen, Obst und Gemüse stammen möglichst aus biologischem Anbau.
  • Vor der Pflanzung oder Aussaat wird der Bodenvorbereitung besondere Aufmerksamkeit gewidmet, denn die meisten Wildpflanzen sind nicht sehr konkurrenzstark gegenüber starkwüchsigen Unkräutern
  • Die Arbeit mit dem vorhandenen Boden in einem eingewachsenen Garten ist oft schwieriger, aber aus ökologischen Gründen einem Bodenaustausch vorzuziehen
  • Bei Neuanlagen mit asphaltierten, stark verdichteten oder verunkrauteten Böden ermöglicht die Aufschüttung mit Kies oder Schotter dagegen die Schaffung neuer, artenreicher und pflegeleichter Naturgärten

Naturnahe Pflege: einfach, entspannend, kreativ

Die Pflege eines Naturgartens unterscheidet sich grundsätzlich von der Pflege konventioneller Gärten:

  • Gejätet wir nur, was bekannt ist
  • alle Pflanzenstängel bleiben für überwinternde Insekten mindestens bis zum Frühjahr stehen
  • Kleinere Flächen werden während der Vegetationsperiode immer wieder offen gehalten, damit sich die Pflanzen selbst aussäen können.
  • Wildpflanzen werden nur im Pflanzjahr und nach der Aussaat bewässert, sobald sie eingewachsen sind, benötigen sie keine zusätzlichen Wassergaben mehr.
  • Naturgärtner kämpfen nicht gegen die Natur, sondern versuchen, eine Partnerschaft mit Flora und Fauna einzugehen. Im Idealfall befindet sich der Naturgarten im ökologischen Gleichgewicht.
  • Fraßschäden an Wildpflanzen werden als Spuren tierischer Besiedlung begrüßt und sind fast immer unproblematisch für die Pflanzen.
  • Wird auch Gemüse kultiviert, können biologische Gartenpraktiken, zunehmender Regenwassermangel und die Spanische Wegschnecke die Ernte reduzieren. Nicht Maximalerträge, sondern „Normalerträge“ sind im Bio-Naturgarten das Ziel.
  • Naturgärtner üben sich in Geduld und Gelassenheit.
  • Viele Kulturpflanzenschädlinge werden durch Mischkulturen (auch Wildpflanzen-Gemüse-Mischpflanzungen) und ihre natürlichen Gegenspieler reduziert, so dass immer frisches Obst, Gemüse und Kräuter für die vegetarische Küche zur Verfügung stehen.

Die beste Pflege ergibt sich aus genauem Beobachten seines Gartens. Beispielsweise kann je nach Region und Wetterlage ab März/April nicht mehr gejätet, gebaut oder umgepflanzt werden, ohne die Bruträume und Futterquellen von Wildbienen, Wespen, Ameisen u.a. Tieren zu zerstören – fast jeder Winkel ist im Naturgarten besiedelt. Die vorsichtige Mahd von Blumenwiesen zum richtigen Zeitpunkt, in mehreren Etappen und mit möglichst schonenden Geräten (Sense, Balkenmäher) gehört ebenso zur naturnahen Pflege wie das natürliche Einziehen lassen der Stauden und Geophyten.

Alle Naturgärten, Spielräume und öffentlichen Grünflächen bedürfen unserer Pflege, der Zeitaufwand hängt wesentlich vom Boden oder Substrat, der Bodenvorbereitung, dem Klima und der Bepflanzung ab.

Lebensräume für Menschen, Pflanzen und Tiere

Naturnahe Flächen sind nicht nur Refugien für Pflanzen und Tiere, sondern auch wichtige Lebensräume für Menschen. Sie ermöglichen uns, unser Leben zu entschleunigen, zur Ruhe zu kommen, den zunehmenden Alltagsstress auszugleichen und die Freizeit statt in der Ferne im eigenen Garten zu verbringen.

 

Kinder haben die Möglichkeit, Wildpflanzen und Tiere kennen zu lernen und mit natürlichen Elementen wie Wasser, Matsch, Steinen, Sand und Hölzern zu spielen. Die Wünsche und Bedürfnisse der Gartenbesitzer und späteren Nutzer fließen immer in die Planung und Anlage naturnaher Flächen ein.

 

Aus Menschensicht sollte ein „zeitgemäßer“ Naturgarten möglichst schön, preisgünstig, nützlich und pflegeleicht sein. Aus ökologischer Sicht interessieren hauptsächlich die Fragen, mit welchen Gartenpraktiken, Materialien und Pflanzen die biologische Artenvielfalt geschützt, gefördert und erhalten werden kann. In naturnahen Flächen können diese beiden Ansprüche vereint werden. Uraltes Wissen beispielsweise über Trockenmauerbau, konstruktiven Holzschutz und Pflanze-Tier-Beziehungen fließt in die Gestaltung ein und mischt sich mit neuen Erfahrungen. Bisher haben sich Wissenschaft und Forschung kaum für den Naturgartenbau interessiert, erste Versuche mit Wildpflanzen befinden sich noch am Anfang.

Naturnahes Grün: politisch verankert und erwünscht

Naturgärten sind kein vorübergehender Trend, sondern zeitlos und ein einfacher, aber wichtiger Beitrag zum Schutz der Biodiversität. Mit jedem Bio-Naturgarten minimieren wir unseren ökologischen Fußabdruck und bewahren die hohe, genetische Bandbreite heimischer Pflanzen. Wir vermeiden Florenverfälschungen (durch Einkreuzungen mit Zuchtformen) und räumen Flora und Fauna ein eigenes Existenzrecht ein. Durch die Vernetzung mehrerer Naturgärten auch mit angrenzenden Flächen in freier Landschaft schaffen wir wichtige Trittsteinbiotope. Jeder Naturgärtner und jede Kommune mit naturnahem Grün ist ein wichtiger Akteur vor Ort, fast schon ein eigener „UN-Botschafter der biologischen Vielfalt“.

 

Mit der UN-Konvention zur biologischen Vielfalt (CBD), der UN-Dekade, der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, dem überarbeiteten BNatSchG und vielen weiteren Aktionen wird der Erhalt der Biodiversität zunehmend auf politischer Ebene verankert. Nun ist es unsere Aufgabe, diese Ziele in der Verantwortung vor zukünftigen Generationen und bevorstehendem Klimawandel in unserem persönlichen Umfeld umzusetzen.

 

Kerstin Lüchow